Gegen halb vier am Nachmittag erreichten sie die Überreste von Mobile und erblickten endlich den Golf von Mexiko, der sich durch die ansteigenden Meeresspiegel in den letzten fünfzig Jahren bis hierher vorgeschoben hatte. Es war aber kein einladendes Bild. Der Sturm hatte immer noch nicht nachgelassen, und im Kom gaben sie sogar Warnung für die Golfküste! Dunkle, schwere Wolken ballten sich am niedrigen Himmel, und der Regen kam in dem Wind fast waagerecht runter! Das Wasser in der Bucht von Mobile war schwarz wie Tinte. Man sah Sirrah an, dass er sich gewaltig anstrengen musste, um gegen die außer Rand und Band geratenen Kräfte anzulenken…
“Mensch, Sirrah! Lass uns lieber anhalten und das Schlimmste abwarten! — Nach New Orleans kommen wir heute sowieso nicht mehr!”
“Jau! Halt an! Das bringt doch nix mehr!”
“Ich hab im Prinzip, äh, nichts dagegen! Aber aus dieser Bucht sollten wir schon, äh, raus sein! — Wenn das Wasser über die Ufer kommt… sind wir hier gefangen!”
Das war ein Argument. Also weiter. Aber ihre Geschwindigkeit war mittlerweile bei Schritt-Tempo angelangt! Obwohl sie sich mitten in der Stadt befanden, waren sie die einzigen lebenden Wesen, die sich draußen bewegten. Alles hatte sich verkrochen — in Gebäude, deren Sturmsicherheit mehr als zweifelhaft war. Sie passierten abgedeckte Häuser, geknickte Masten, zerstörte Aufbauten. Große Gegenstände flogen durch die Luft wie Papierblätter! Einmal knallte ein halber Gartenzaun an ihren Wagen, und quer über die Straße stolperte, wie ein torkelnder Betrunkener, eine Tür mit daran baumelndem Briefkasten. Auf dem Parkplatz eines Supermarkts lagen Autos übereinandergehäuft wie auf dem Schrottplatz. Ein Haus hatte alle vier Wände ‑ und natürlich auch das Dach ‑ verloren! Dort, wo die Wände gestanden hatten, reihten sich immer noch Möbel, Schränke, Herd, Kühlschrank, und bildeten grotesk einen Grundriss nach, den es nicht mehr gab!
Im Kom erzählten sie, dass der Northerner, der den Südosten heimsuchte, sich an der nördlichen Golfküste in einer Sturmflut entlud.
“Gut, dass sie das bekannt geben! Sonst hätten wir das vielleicht gar nich mitgekriegt!” konnte Rhyan sich nicht verkneifen.
Und immer noch zog die Windstärke an! Man hörte nur noch hohles Heulen, unterlegt von dumpfem Brausen und Orgeln. Man wurde ganz taub davon!
Sie kamen aus Mobile heraus. Die Straße nach Pascagoula führte jetzt direkt an der neuen Küste entlang, unmittelbar am Wasser — ein holperiger, verkommener Weg mit kaputtem Belag und abbröckelnden Uferbefestigungen. Wasser schwappte bedrohlich über die Befestigungen und fraß und nagte noch mehr daran. Noch war die Straße befahrbar. Aber man sah richtig, wie der Sturm die Wassermassen in die Bucht drückte! Irgendwann mussten sie einfach übers Ufer treten! Es dämmerte jetzt schon, und obwohl sie noch gar nicht weit von Mobile entfernt waren, befanden sie sich in einem öden, wüsten Niemandsland. Weit und breit kein Haus, kein Baum, kein Strauch! Das Getöse ringsherum ließ an Weltuntergang denken.
Und dann war’s soweit! Das Wasser schwoll über die Ufer! Ohne Vorwarnung! Auf einmal, direkt vor dem Wagen, eine riesige dunkle Wasserwand!
“ZURÜCK, SIRRAH!!! MENSCH, FAHR ZURÜCK!!!”
Da krachte der Schwall schon über sie herein! Für Sekunden sah man nichts als graumelierte Schwärze. Dazu das Tosen der Hölle! Und ein bestialischer Gestank! — Sirrah lenkte und schaltete und kurbelte und hebelte! Die andern hielten den Atem an und starrten nach draußen, wo Brecher auf Brecher sich über die Straße schüttete, wieder zurückschwappte und einen steigenden Wasserspiegel zurückließ. Der Wagen schwamm und glitschte…
“Wir fahren zurück nach Mobile!” keuchte Sirrah. “Das schaffen wir vielleicht gerade noch, bevor das Wasser noch weiter gestiegen ist!” Der Schweiß lief ihm in richtigen Bächen runter.
“OK! Aber lass mich jetzt fahren!” verlangte Deane. Sirrah ließ ihn bereitwillig. Er war fix und fertig! Rhyan wurde nach hinten zu Reafer befördert, Sirrah verzog sich auf den Beifahrersitz, und Deane rutschte hinters Steuer. Das ging alles blitzschnell, ohne dass sie dazu eine Wagentür öffnen mussten.
Zentimeterweise ging es zurück. Im Scheinwerferlicht sah man weit und breit nichts als graue, brodelnde Wassermassen, die einen fürchterlichen Gestank ausströmten. Als ob das Meer seinen untersten, übelsten Grund auskotzte! Die Straße stand bereits etwa zwanzig Zentimeter unter Wasser; man konnte gerade noch das niedrige Befestigungsmäuerchen erkennen. Aber das Wasser stieg und stieg. Brecher auf Brecher drosch an Land. Wenn nur die Uferbefestigung der Straße hielt! Sonst…! Sie alle hielten die Luft an und zählten die Meter, die sie vorwärts kamen. Rhyan und Reafer kauerten auf dem Rücksitz und hielten sich umfasst. Die Ohren dröhnten vom Sturmheulen, und auf dem Wagendach knatterte Regen. Dabei konnten sie mal wieder dankbar für dieses Auto sein: dass es so schwer war und einigermaßen Bodenkontakt behielt.
In der Ferne tauchten verschwommen Lichter auf, und das Scheinwerferlicht streifte ein paar verkommene Häuser, in etwa einem Kilometer Entfernung gerade noch sichtbar. Geschafft! Sie waren wenigstens wieder in den Vororten von Mobile!
Rhyan wollte gerade vorschlagen, eine Kneipe zu suchen und das Unwetter dort abzuwarten… Da gab es einen Satz, der Antrieb dröhnte wütend auf, die Reifen heulten und drehten durch… Festgefahren!!