Reafer fuhr los, durch knüppeldickes Schneetreiben, immer höher werdende Schneedecken und röhrenden Sturm. Sie hatte den Kom eingeschaltet, und der belehrte seine Zuhörer darüber, dass der gesamte Südosten Nordamerikas einen Northerner zu gewärtigen haben würde: Schnee, Stürme mit Windgeschwindigkeiten bis dreihundert Stundenkilometern und, unten am Golf, Überschwemmungen und Sturmflut! — Die Straßen, durch die die vier mit ihrem geklauten Superauto kamen, waren komplett ausgestorben. Weder Fahrzeugen noch Menschen begegneten sie. Die Häuser schienen sich vor dem tobenden Sturm zu ducken, die ganze Stadt sich zusammenzukauern… ergebenes Warten auf ein Nachlassen des Höllen-Remmidemmis. — Für die vier sich einsam durch das Chaos kämpfenden Flüchtlinge war es vielleicht eine Chance: Wenn sie Glück hatten, wurden sie gar nicht gesehen, und Reafer brauchte dann ihre Nutten-Nummer überhaupt nicht mehr zu strapazieren…

Der Wagen jedenfalls war ein Gedicht! Durch und durch solide gebaut! Die Reifen hatten offensichtlich einen Spezialbelag, der sie auch bei diesen Straßenverhältnissen noch von der Stelle kommen ließ! Und funktionieren tat auch alles, selbst die Heizung — wenn auch Reafer in ihrem dünnen Anzug immer noch fröstelte.

Im Scheinwerferlicht tauchte ein Richtungsschild auf, im Flockenwirbel nur unter Anstrengungen zu erkennen: “Süden”. — Sie aber wollten nach Norden, Chicago! Egal! Erstmal raus aus Atlanta!

Und dann war da dieses Polizeiauto, das einsam am Straßenrand geparkt stand! Völlig eingeschneit!

“Achtung!” warnte Reafer nach hinten. “Jetzt wird’s spannend!” Sie berichtete, was sie sah und fuhr vorsichtig auf den einsamen Wagen zu. Aber es stieg niemand aus, um ihnen den Weg zu verwehren…

“Komisch! Die machen gar nix!” Sie waren jetzt bis auf ein paar Meter schräg hinter dem Polizeiwagen. Drinnen konnte man verschwommen zwei Gestalten auf den Vordersitzen erkennen. Aber diese Gestalten zeigten keinerlei Reaktion auf ihr Kommen! Die Insassen des Wagens saßen völlig bewegungslos da, mit nach vorn gesunkenen Köpfen…

“Halt’ auf jeden Fall an!” ordnete Sirrahs Stimme dumpf von hinten an. “Sonst machen wir uns verdächtig!”

Reafer bremste. Sie kamen schräg neben dem Polizeiwagen zu stehen.

“Na, was machen sie?”

“Nix!”

“Ob da was passiert iss? Vielleicht ‘n Unfall? Oder krank?!”

“Ach was! Die pennen bestimmt, die ‘Pforzheimer’!” kam Deanes Stimme von hinten. “Das ist vielleicht ‘ne Dienstauffassung!”

“Vielleicht hat man diesen, äh, Williams strafversetzt auf Außenpatrouille…”

“Mal sehen…” murmelte Reafer unbestimmt und drückte auf den Knopf, der die Fensterscheibe versenkte.

“Hmpfh! Warum hau’n wir denn nich einfach ab?!”

“Weil sie dann, äh, verpflichtet wären, hinter uns herzukommen!”

Reafer ließ die mickerige Hupe aufhusten.

Keine Reaktion. Natürlich: Nicht von dieser Hupe!

“Ich fahr noch dichter ran!” beschloss Reafer und tippte behutsam aufs Energiepedal…

“Sei bloß vorsichtig!”

Der Rat nützte nix mehr! Der schwere Wagen schlidderte auf das Polizeiauto zu…

“CRACKS!! HALT’ AN!! BIST DU VERRÜCKT?!!”

Der Wagen ließ sich nicht mehr anhalten…

“SCHEISSEEEEEE!!!”

Bollern und Bumpen!

Sie saßen da und hielten die Luft an. Konnten es nicht fassen: Sie waren dem Polizeiwagen in die Seite gekracht!!!

“Oh, Cracks!!” machte Rhyan leise und andächtig.

Aber jetzt kam endlich eine Reaktion aus dem Polizeiauto. Das Fenster glitt quietschend ein paar Zentimeter herunter. Ein verpenntes, unwirsches, verärgertes Gesicht tauchte auf. “Was iss denn los?!” brüllte der Polizist ins Sturmgetöse. — Da drin hatte man ganz offensichtlich tatsächlich geschlafen und bis jetzt nicht kapiert, was passiert war!

“Es tut mir wahnsinnig leid, Officer!” brüllte Reafer zurück, so laut, dass sie hinten zusammenzuckten. “Sind Sie OK?”

“Gute Güte! Welch Organ!”

“Was soll die blöde Frage?!”

“Ja, aber… der Wagen! Ich hab doch…”

“Verdammt! Henry! Jetzt mach’ endlich das Fenster zu!” blaffte plötzlich der Beifahrer des Polizisten. “Sollen wir hier erfrieren, oder was!”

“Ja, genau! — Machen Sie endlich, dass Sie weiterkommen!!!” schnauzte der Polizist am offenen Fenster. Und schon quietschte die Scheibe wieder hoch. — Die Insassen des Polizeiautos waren nicht mehr zu sprechen!

Reafer starrte mit offener Klappe. “Das würde uns keiner glauben, dem wir das erzählen würden! — Sind die so verpennt, dass die nichtmal mitkriegen, wenn sie einer anrummst!”

“Ja! Aber nu mach endlich, was er gesagt hat: Sieh zu, dass du Land gewinnst!”

Reafer nickte und fuhr an. Die beiden Autos waren allerdings so verkeilt, dass sie mit einem gewaltigen Quietscher am Polizeiwagen entlangschrammte. Von dem Geräusch fielen einem sämtliche Zähne raus! Und als sie sich endlich vom Polizeiwagen lösten, kriegte der vom schweren Heck der “Scorpion” auch noch einen ordentlichen Schubs und schlidderte von der Straße runter, auf den Acker, oder was immer dort war. Den Männern standen die Haare zu Berge!

Da gingen doch noch die Türen des Polizeiwagens auf. Erbost krabbelten die Polizisten ins Freie und schickten die schwärzesten Wünsche der Hölle hinter ihnen her! Reafer konnte jetzt nicht mehr bremsen. Im Rückspiegel sah sie, wie die Polizisten wütend ans Auto traten und versuchten es wieder aus dem Acker rauszuschieben. Das aber klappte anscheinend nicht. Denn die beiden stiegen wieder ein, knallten die Türen zu, und die davonfahrenden vier sahen fassungslos den einsamen Wagen am Straßenrand kleiner werden und schließlich im Sturm und Schneetreiben ganz verschwinden.