Deane erwachte Montagmittag mit schmerzendem Kreuz und dumpfem Kopf. Noch bevor er die Augen öffnete, sagte ihm altvertrautes Grunzen und Schnarchen, dass Rhyan in der Nähe war und schlief. Im Hintergrund aber hörte er ein Schnorcheln, dessen Tonart ihm neu war.

Die verrückte Frau! Die Ereignisse der vergangenen vier Tage tauchten in seiner Erinnerung auf. Zuerst verworren und hulterdipulter, dann formten sie sich allmählich zu einem Ablauf… Donnerstag: der Alarm… Freitag: Ankunft in New York, Ermittlungen, Hinterher… Samstag, vorgestern: die ‘Schlacht’ in Alabama, erstes Zusammentreffen mit der Frau und diesen ‘Jägern’… Und gestern, Sonntag: die Frau bei diesem Dorfsheriff, danach Great Mines, danach das Gefängnis in Atlanta, die Jäger, und schließlich die wahnwitzige Befreiung… Ja, und jetzt lagen sie hier in diesem Puff und warteten darauf, dass die Polizei, die ganz Atlanta auf den Kopf stellte, sich wieder beruhigte! — Als Deane die Augen aufschlug, war er nicht mehr überrascht über die wilde Dachboden-Umgebung.

Er sah sich um. Rhyan und die Frau ‑ ‘Cracks’ ‑ schliefen wie die Steine und veranstalteten ein Schnarchkonzert. Schnarchen tat sie also auch noch! — Und auf der anderen Seite… Er lachte auf. “Ey, Sirrah! Was hast  d u  denn vor?!”

Sirrah lag verschachtelt auf seiner Pritsche und trug einen eleganten lila Filzhut mit breiter, lappender Krempe und quietschgelber, staubiger Straußenfeder. Wortlos, mit angesäuertem Gesicht, deutete er über sich, nach oben: Es tropfte durchs Dach!

“Wie spät isses denn?”

“Fast zwei.”

Deane bewegte sich vorsichtig. “Ouh Mann! Hast du auch so’n Kreuz wie ich?!”

“Irgendetwas habe ich… Aber ein, äh, Kreuz würde ich es nicht nennen!” Sirrah stöhnte angelegentlich. “Welch eine Nacht!” grummelte er. “Halb erfroren… mitten durchgebrochen…  u n d  benässt!”

Deane nickte, in stumm-leidendem Einverständnis. “Ja, man macht wirklich was mit! — Ob man hier was zu essen kriegt?”

“Na, das, äh, denke ich doch! — Diese, äh, ‘Damen im Nachthemd’ ‑ wie Rhyan sie so treffend, äh, beschrieb ‑ müssen sich ja auch von irgendwas ernähren.”

“Stimmt! Und erst diese ‘Panzerknacker’…”

“Allerdings sollten wir uns vorsichtshalber lieber keinen Illusionen hingeben bezüglich, äh, Genießbarkeit und Nährwert der in diesem Etablissement erhältlichen Nahrungsmittel! — Wenn man, äh, Rückschlüsse zieht von der Qualität der Matratze… Falls man ähnliches auch als, äh, Bums-Unterlage verwendet, dann solltest du dankbar sein, dass du da noch einmal, äh, drum herumgekommen bist!”

“Och, so empfindlich bin ich nun auch wieder nicht… Solange man auf so ‘ner Matratze nicht pennen muss… Wie bringen  d i e  das eigentlich fertig?!!” Er deutete auf Rhyan und Reafer, die immer noch ratzten wie die Weltmeister.

Achselzucken unter dem lila Filzhut. “Na, äh, du kennst doch unsern Dicken. Wo, äh, schläft der  n i c h t ?!”

“Na, Miss ‘Cracks’ ‑ der Name gefällt mir immer besser! ‑ scheint aber auch keine Schlafprobleme zu haben! — Und schnarchen tut sie auch noch!”

“Ja, und im Grunde, äh, wundert’s mich nicht einmal! — Sie scheint irgendwie, äh, ‘seelenverwandt’ mit dem Dicken zu sein…” Sirrah ächzte gequält und verdrossen, während er umständlich versuchte, seine verschränkten und verschachtelten Gliedmaßen wieder zu entwirren und von der Pritsche hochzukommen. “Also komm!” forderte er Deane auf. “An die Arbeit! Vor das Frühstück haben die Götter den, äh, Schweiß gesetzt! — Und es sieht ganz so aus, als ob wir jetzt auch noch ein, äh, Weckproblem mehr hätten…”

Rhyan wecken! Eine allmorgendlich wiederkehrende Plage und Schufterei, die sie als zu ihrem Leben gehörend akzeptiert hatten wie das tägliche Zähneputzen. Im Laufe der Jahre hatte sich ein richtiges Repertoire entwickelt, das zwischen Drohungen, Locken, Tricks und körperlicher Gewalt alle nur erdenklichen Möglichkeiten ausschöpfte. — Heute hatten Sirrah und Deane jedoch zwei ‘Kunden’: Und Reafer war gegen Rhyan ein echter ‘Profi’! Als sie Rhyan längst soweit hatten, dass er, zwar immer noch halb schlafend, aber wenigstens sitzend auf seiner Pritsche herumschwankte, da war von Reafer immer noch nicht mehr zu sehen als ein unordentlicher roter Haarschopf unter der Decke.

Deane brüllte ihr ins Ohr, so laut, dass Rhyan erschreckt hochzuckte und mit dem Kopf an einen Balken knallte, und Sirrah die Brille aus dem Gesicht sprang — keine Wirkung! Sirrah rüttelte an ihrer Pritsche, dass der Staub aufwirbelte und sie alle krächzende Hustenanfälle kriegten — nichts! Deane wurde brutal, packte ihre Pritsche und versuchte Reafer rauszukippen. Half auch nix. Sie krallte sich einfach fest, und die schiefe Ebene machte ihr überhaupt nichts! — Sämtliche Methoden, die sich in jahrelangen Versuchen an Rhyan bewährt hatten — alles vergebene Liebesmüh! ‘Cracks” Nerven waren offenbar gegen alles immun, und sie weigerte sich schlicht, aufzuwachen!

Rhyan hing dabei auf seiner Pritsche herum, rieb sich seine Beule und gähnte triumphierend-genüsslich: “Und zu mir immer ‘Penner’ sagen, hähä!”

Es rumpelte vor der Dachbodentür, und der Gerümpelhaufen, den Sirrah und Reafer in der Nacht aufgebaut hatten, um sich vor Hosker und Jenkins zu schützen, fiel polternd und donnernd in sich zusammen. Dabei nebelte eine erneute Staubwolke alles ein, und durch die wirbelnden Schwaden tönte wie eine Geisterstimme Herman, das Hausfaktotum. Ob die ‘Herrschaften’ nicht vielleicht auch mal aufstehen wollten! Unten würde das Essen kalt! Da machte man sich so viel Arbeit, und dann…! Der Rest ging unter in Gebrummel.

Sirrah wollte gerade einen neuen, verzweifelten Anlauf nehmen, um ‘Cracks’ endlich wachzukriegen… da hörte man sie unter ihrer Decke ganz klar und hellwach sagen: “Essen… Gute Idee! Ich hab ‘n Mords-Schmacht!”

Und endlich kam sie herausgekrochen und gähnte in drei komplett gebügelte Männergesichter. “Was kuckt ihr denn so blöd?! — Gehn wir jetzt essen, oder was?!”

“Die macht mich wahnsinnig!!!” knurrte Deane.

“Jedenfalls muss man sich merken, dass ihr Appetit einen wirkungsvollen, äh, Faktor darstellt…” erkannte Sirrah, knallte seinen lila Schlapphut zwischen das Dachboden-Gerümpel, dass erneut eine Staubwolke hochstob, und machte sich daran, zusammen mit den andern die Tür freizuräumen.